(Nach einem Text von Norbert Rost)
Kaufungen steht, wie die anderen Kommunen auch, vor einer großen Herausforderung. Wir müssen damit rechnen, dass in den kommenden Jahren der Preis für Benzin und Diesel 2 Euro deutlich übersteigt. Hintergrund ist, dass in naher Zukunft das globale Ölfördermaximum (Peak Oil) erreicht wird oder bereits überschritten ist. Der Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA) Fatih Birol prognostiziert Peak Oil auf 2020, der Peak für leicht zu förderndes Erdöl wurde von der IEA auf 2006 datiert. „Peak Oil“ bedeutet: Die tägliche globale Ölförderung lässt sich nicht weiter steigern, das Erdöl-Angebot ist limitiert. Gleichzeitig nimmt der Öl-Verbrauch insbesondere in den Schwellenländern immer weiter zu. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage werden den Erdöl-Preis in die Höhe treiben, 200 US$ pro Barrel sind ab 2016 denkbar. Diese Prognosen stellen beispielsweise die Marktbeobachter Energy Comment Hamburg sowie das Chatham House; die Deutsche Bank erwartet einen Ölpreis von 180 Dollar bis 2016/2017.
Nach Überschreiten des Peak Oil geht die tägliche Fördermenge zurück. Die Menge des importierbaren und hierzulande nutzbaren Mineralöls wird dann zwangsläufig sinken. Das bedeutet: Wir Bürger Kaufungens, wir Unternehmer aber auch die öffentlichen Einrichtungen müssen Jahr für Jahr mit bedeutend weniger Mineralöl auskommen und trotzdem unser Leben und unsere Aktivitäten organisieren. Die Länge der Transportwege, die Menschen und Güter zurücklegen können, verkürzt sich mit der Verknappung an Treibstoff. Fatih Birol sagte dem Economist, dass das Erreichen von Peak Oil um 2020 möglich ist. Danach ist mit einem Absinken der jährlichen Liefermenge von 6-7% pro Jahr zu rechnen, die Preise könnten sich dann auch weit über 200 US$ bewegen. Daraus resultieren nicht nur Risiken für die Konjunktur, die jeden Bürger und jedes Unternehmen betreffen, es stellt sich auch zunehmend die Frage:
Wie bereitet sich Kaufungen auf solche Entwicklungen vor?
Auch unsere Verwaltung verbraucht Mineralöl: Als Treibstoff der Dienstwagen sowie in den Fuhrparks der städtischen Betriebe, für Fahrzeuge der Feuerwehr, aber auch für Notstromaggregate. Die Bürger von Kaufungen heizen teilweise mit Heizöl. Die hier ansässigen Unternehmen benötigen Treibstoffe und Schmiermittel, manchmal auch auf Erdöl basierende Kunststoffe oder Chemikalien zur Weiterverarbeitung. Unsere Wirtschaftsweise ist so eng mit dem Erdöl verknüpft, dass eine aktuelle Studie der Bundeswehr zu Peak Oil sagt: „90% aller industriell gefertigten Produkte hängen heute von der Verfügbarkeit von Erdöl ab […] Eine starke Verteuerung des Erdöls würde ein systemisches Risiko darstellen, da die Funktionalität großer Teile heutiger Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme von der Verfügbarkeit relativ preiswerten Erdöls abhängig ist.“
Demnach sind die Bürger und die Unternehmen von dem Problem betroffen, aber auch die Kommunalverwaltung selbst, da mit Peak Oil ein krisenhafteres wirtschaftliches Umfeld mit voraussichtlich geringeren Steuereinnahmen zu erwarten ist. Der Bundeshaushalt wird z.B. zu über 17% aus der Energiesteuer auf Mineralöl gespeist. Bundesförderungen werden mit Peak Oil fraglich. In der Vergangenheit gingen hohe Ölpreise fast immer mit Wirtschaftskrisen einher.
Diese Problemstellung scheint auf den ersten Blick außerhalb des Verantwortungsbereiches von Kommunen zu liegen. Weder haben die deutschen Kommunen Einfluss auf die Förderung von Öl noch auf die Preisgestaltung an den globalen Märkten. Auch haben sie keinen direkten Zugriff auf die 90-Tage-Reserve, die in Deutschland vom Erdölbevorratungsverband vorgehalten wird. Durch die Verquickung des Erdöls mit allen gesellschaftlichen Bereichen sind jedoch alle Bürger und alle Unternehmen in allen Städten und Gemeinden betroffen. Kommunale Verwaltungen stehen deshalb in der Verantwortung, im Interesse ihrer Bewohner und ihrer ortsansässigen Unternehmer vorbeugend zu handeln. Peak Oil muss als neuer Aspekt in der Daseinsvorsorge und der strategischen Stadtentwicklung begriffen werden.
Insbesondere in Großbritannien und den USA haben Kommunen Peak-Oil-Resolutionen verabschiedet und Task Forces eingesetzt, z.B. Bloomington, Portland oder San Francisco. Deren Aufgabe ist es, die Risiken der Kommunen im Hinblick auf Peak Oil zu beleuchten. Auf Basis dieser Analysen wurden Aktionspläne erstellt, die die Widerstandsfähigkeit der Kommunen erhöhen sollen.
Dabei stehen nicht nur die Risiken für die kommunale Verwaltung im Vordergrund, sondern insbesondere jene der Bürger und der lokalen Unternehmen. Im Rahmen der Globalisierung ist es üblich geworden, dass Waren von überall herkommen und in den hiesigen Läden zu kaufen sind. Darin liegen bedeutsame Risiken, denn fraglich ist, ob die damit verbundenen enormen Distanzen künftig überhaupt noch wirtschaftlich zu überwinden sein werden. Was einerseits eine Chance für die regionale Wirtschaft darstellt, ist andererseits eine Bedrohung der Versorgung: Nie zuvor waren europäische Kommunen so stark abhängig von weit entfernten Lebensmittellieferanten, Lieferanten von Gütern des täglichen Bedarfs oder auch Ersatzteil-Lieferanten.
Daher sollte auch in Kaufungen geklärt sein:
Wie kann die Versorgung unserer Bürger im Fall sehr plötzlicher Ölpreissteigerungen oder bei Versorgungsengpässen sichergestellt werden?
Peak Oil übt Druck auf die öffentlichen Haushalte aus. Preissteigerungen beim Erdöl ziehen Preissteigerungen in allen anderen Bereichen, insbesondere im Energie- und Transportsektor nach sich. Haushalte und Unternehmen können in finanzielle Schwierigkeiten geraten, eine zunehmende Belastung der öffentlichen Hand wäre die Folge: Steigende Sozialkosten treffen auf sinkende Steuereinnahmen. Die Fördertöpfe, auf die sich Kommunen heute in teilweise großem Maßstab verlassen, könnten dann, wenn große Investitionen in ÖPNV oder andere Infrastrukturen dringlich sind, leer sein. Dasselbe gilt für Unternehmen: In einem Peak-Oil-Umfeld verschlechtern sich die Finanzierungsmöglichkeiten, das Finanzsystem gerät unter weiteren Druck.
Für Kaufungen gilt im Hinblick auf Peak Oil folgender Grundsatz:
Alle Entscheidungen, die wir treffen, sollten auch dann sinnvoll sein, wenn der Ölpreis bei 200 Dollar liegt.
Daraus abgeleitet lautet die Anforderung:
Was müsste heute bereits entschieden werden, wenn klar wäre, dass Kaufungen bis 2030 ohne Mineralöl auskommen muss?
Jede Umstellung von wirtschaftlichen oder kommunalen Prozessen oder Infrastrukturen benötigt Zeit. Pläne müssen erstellt, Material beschafft und Projekte umgesetzt werden. Wenn erst gehandelt wird, wenn der wirtschaftliche Druck aufgrund Preissteigerungen oder Ölknappheit groß ist, sind die Spielräume eng. Bei Peak Oil handelt es sich um ein globales Problem, dem sich zehntausende Kommunen weltweit stellen müssen. Warten alle bis zum Eintreten des Peak Oil und handeln dann zeitgleich, führt dies zu enormen Problemen. Auch die Förderung regionaler Unternehmen, die künftig für die Versorgung der Bevölkerung eine zweifellos große Rolle spielen werden, ist kein Prozess, der von heute auf morgen erfolgreich ist. Die zeitliche Komponente ist im Hinblick auf die Verknappung der Ressourcen von enormer Bedeutung, weshalb frühzeitiges Handeln wichtig ist.
Kommunale Verwaltungen können die mit Peak Oil verbundenen Probleme nicht ohne Einbeziehung der ortsansässigen Unternehmen und ihrer Bürger lösen. Der Übergang vom heutigen Zeitalter ständig verfügbaren billigen Öls zum postfossilen Zeitalter ist nicht allein mit Elektromobilität und Solardächern möglich. Eine Welt ohne Öl könnte die Städte und Gemeinden grundlegend verwandeln, aber dieser Wandel ist weder optional noch liegt er in ferner Zukunft. Zehn Jahre bis zum Peak sind eine extrem kurze Zeit, wenn es darum geht nahezu alle Bereiche des Lebens auf eine Zeit ohne Öl anzupassen. Transportwesen, Chemieindustrie und Energieversorgung benötigen offensichtlich Erdöl. Gebraucht wird es letztlich jedoch in allen Branchen Einzelhandel, Handwerk, Landwirtschaft, Maschinenbau usw. zum Antrieb der Maschinen, zum Heizen, als Schmiermittel oder in verarbeiteter Form (z.B. Pestizide, Verpackungen, Kühlmittel, als Bitumen im Straßenbau). In den Städten wird die Versorgungsfrage mit Lebensmittel im Zentrum stehen. Dies kann Kaufungen durch aktives Flächenmangement unter dem Gesichtspunkt der Lebensmittelversorgung umgehen. Dazu sollte jedoch früh mit den Planungen begonnen werden.
Beispielgebend kann die aus Großbritannien kommende und inzwischen auch in Deutschland aktive „Transition Town“-Bewegung sein. Der Begriff bedeutet soviel wie „Stadt im Übergang“ und wird in den teilnehmenden Kommunen getragen von engagierten Bürgern unter Einbeziehung von lokaler Verwaltung und lokaler Wirtschaft. Auch in Kaufungen hat sich eine Gruppe diesem Thema angenommen: „Kaufungen gestaltet Zukunft“ hat mittlerweile schon mehrere Veranstaltungen durchgeführt und im Jahr 2012 auch erstmals ein Jahresprogramm aufgelegt. Ziel dieser Bemühungen muss es sein, dass wir in Kaufungen gemeinsam die Risiken analysieren und den Transformationsprozess konstruktiv begleiten, statt ihn passiv auf uns zukommen zu lassen. Die Zielstellung ist, Kaufungen gemeinsam krisenfester zu machen, um auch künftig ein lebenswertes Umfeld zu erhalten.
(Dieser Text hat eine Veröffentlichung von Norbert Rost zur Grundlage und wurde auf Kaufunger Verhältnisse umgeschrieben.)