Aufgrund eines Artikels in der Kaufunger Woche – Ausgabe 42/2014 stellten wir eine Anfrage an die Gemeindeverwaltung, die uns auch schnell beantwortet wurde. Wir haben zum gleichen Thema auch eine Anfrage beim Landrat gestellt. Hier die Antwort:
Sehr geehrter Herr Brechmann,
vielen Dank für Ihre Mail. Ich beantworte Ihre Fragen gern – dies besonders vor dem Hintergrund, dass der Landkreis Kassel eine auch von der Hessischen Landesregierung gelobte Betreuungs- und Unterbringungskonzeption für die uns zugewiesenen Asylbewerber umgesetzt hat.
Aktuell sind rund 1.000 Asylbewerberinnen und Asylbewerber bei uns im Landkreis gemeldet. Anfang der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren rund 3.400 Asylbewerber bei uns im Landkreis Kassel untergebracht. Sie erinnern sich vielleicht noch: Das war die Zeit des Bürgerkriegs in Ex-Jugoslawien. Als die Asylbewerberzahlen im Jahr 2012 wieder anstiegen, haben wir uns dafür entschieden, die Fehler, die damals bei der Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge gemacht wurden, nicht zu wiederholen. Wir haben uns dafür entschieden, dass wir alle neuen Gemeinschaftsunterkünfte in eigener Regie – also als Landkreis – führen werden. Die einzige nicht von uns betriebene Gemeinschaftsunterkunft ist die in Fuldatal-Ihringshausen. Hier sind und waren wir uns mit dem Betreiber einig, dass wir sobald eine Alternative zur Verfügung steht, diese Einrichtung schließen werden.
Um die Frage korrekt beantworten zu können, was der Landkreis für die Flüchtlinge tut, gestatten Sie mir noch einige wenige Informationen über die organisatorische Abwicklung des Asylverfahrens in Deutschland. Die Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, werden in Sammelunterkünften des Bundes erfasst und dann nach den Einwohnerzahlen auf die Bundesländer verteilt. Das zentrale Aufnahmelager des Landes Hessen ist in Gießen. Das Regierungspräsidium Darmstadt koordiniert hessenweit die Verteilung der Asylbewerber auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Wir erhalten in der Regel am Donnerstag jeder Woche eine Liste von Menschen, die wir am Mittwoch der Folgewoche am Bahnhof abholen und in unseren Gemeinschaftsunterkünften unterbringen. Auf die Zahl und die Zusammensetzung der uns zugewiesenen Asylbewerber haben wir keinen Einfluss. In der Regel werden uns 35 neue Asylbewerber pro Woche zugewiesen.
Die zu uns kommenden Asylbewerber haben also bereits eine kleine Odyssee in unterschiedlichen Einrichtungen des Bundes und des Landes hinter sich, bis sie zu uns kommen. Unsere Hauptaufgabe ist es daher, die Flüchtlinge in den ersten Wochen und Monaten erst einmal bei uns im Kreis und in ihrer neuen Übergangsheimat ankommen zu lassen und dann Schritt für Schritt zu versuchen, sie je nach Möglichkeit in eine angemietete Wohnung zu vermitteln. Leider sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine Betreuung von Asylbewerbern in Deutschland nicht dazu geeignet, um bereits in der Anfangsphase eine größere Integration zu ermöglichen. Das Asylrecht schreibt vor, dass Asylbewerber erst dann Sprachkurse erhalten dürfen, wenn sie als Flüchtlinge anerkannt sind. Dieser Anerkennungsprozess kann bis zu 18 Monaten dauern. In dieser Zeit sind Sprachkurse nur auf ehrenamtlicher Basis möglich – hier haben wir mit Hilfe von vielen ehrenamtlich Aktiven im Landkreis eine Vielzahl von Angeboten in unseren Gemeinschaftsunterkünften organisiert. Aus meiner Sicht wäre es besser, wenn die Bundesregierung bei denjenigen Flüchtlingen, bei denen eine hohe Wahrscheinlichkeit der Anerkennung besteht (z.B. aus Syrien oder dem Irak), von Anfang an Sprachkurse ermöglichen würde. Sie stimmen mir sicherlich zu, dass die Deutsche Sprache entscheidend dafür ist, sich in unserer Gesellschaft und unserer Kultur integrieren zu können. Während des Asylverfahrens ist es übrigens auch nicht erlaubt, dass die Asylbewerber arbeiten dürfen. Wir arbeiten gerade an einem Konzept, um Asylbewerber unter Anleitung für Arbeiten im Interesse der Gemeinschaft (Pflege von Grünanlagen, Bürgerarbeit) einzusetzen.
Die Mittel, die für die Betreuung und die Unterkunft von Asylbewerbern erhalten, kommen vom Land Hessen. Die Bundesländer agieren bei der finanziellen Unterstützung der Kommunen im Bereich Asylbewerberbetreuung leider sehr unterschiedlich. Während Bayern die Kosten in vollem Umfang ersetzt, decken die Mittel des Landes in Hessen (wie auch in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen) die tatsächlichen Kosten nur bedingt. Der Landesrechnungshof hat in einer Untersuchung auf der Basis des Jahres 2011 nachgewiesen, dass nur rund 60 Prozent der Kosten vom Land übernommen werden. Seit dieser Zeit hat sich nichts Grundlegendes geändert, so dass wir aufgrund der steigenden Kosten mittlerweile von einer Kostendeckung von rund 50 Prozent ausgehen. Alle betroffenen Landkreise und kreisfreien Städte weisen auf allen ihnen zur Verfügung stehenden Ebenen (Hessischer Landkreistag, Hessischer Städtetag, Deutscher Landkreistag und Deutscher Städtetag) auf das Problem hin. Die Bundesregierung hat zwischenzeitlich reagiert und Ende November beschlossen, dass in den Jahren 2015 und 2016 jeweils 500 Millionen Euro aus dem Bundeshaushalt über die Länder an die Kommunen weitergegeben werden sollen. Bis heute habe ich leider noch keine Information des Landes Hessen, wie sie die auf Hessen entfallenden Mittel an die Landkreise und kreisfreien Städte weitergeben will.
Bevor wir eine neue Gemeinschaftsunterkunft eröffnen, finden zahlreiche und intensive Gespräche mit Vertretern der jeweiligen Kommune statt. Wir beziehen dabei auch von Anfang an gesellschaftliche Gruppen und insbesondere die Vertreter der Kirchen ein, die in der Regel die Unterstützerkreise für unsere Gemeinschaftsunterkünfte koordinieren. In Abstimmung mit den Kommunen findet dann eine Bürgerversammlung statt, in der wir über die Pläne informieren. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit dieser Vorgehensweise gemacht und für alle unsere Gemeinschaftsunterkünfte haben sich sehr aktive Unterstützerkreise gebildet. Aktuell betreiben wir Gemeinschaftsunterkünfte in Wolfhagen-Gasterfeld (Pommernanlage), Wolfhagen-Niederelsungen, Vellmar, Trendelburg-Deisel, Oberweser-Gieselwerder, Nieste und Helsa. In Vorbereitung sind Gemeinschaftsunterkünfte in Hofgeismar, Fuldatal-Rothwesten und Espenau.
Ich hoffe, Sie können aus den geschilderten Abläufen erkennen, wie unser Konzept für eine „Willkommenskultur“ aussieht. Uns geht es darum, die Asylbewerber im Landkreis Kassel ankommen und soweit es nach ihren häufig traumatischen Erfahrungen geht, zur Ruhe kommen zu lassen. Zusammen mit den ehrenamtlichen Unterstützerkreisen sorgen wir dafür, dass die Flüchtlinge nach sechs Monaten in einer Gemeinschaftsunterkunft in eine Wohnung umziehen können. Entscheidend ist dabei der Wille der Asylbewerber – wir müssen feststellen, dass es auch Asylbewerber gibt, die gern länger in einer Gemeinschaftsunterkunft bleiben. Die aktuell diskutierte Gemeinschaftsunterkunft in Fuldatal-Ihringshausen zum Beispiel gehört zu den beliebtesten Unterkünften im Landkreis. Hier besteht eine Warteliste und viele der dort wohnenden Asylbewerber wollen nicht in eine andere besser ausgestattete Gemeinschaftsunterkunft oder eine Wohnung umziehen. Diese Haltung insoweit aus Sicht der Asylbewerber verständlich, da sie häufig lieber in der Nähe größerer Städte wie Kassel wohnen, als im ländlichen Raum.Die Asylbewerber in der Unterkunft „Rotte Breite“ werden von dem ehemaligen Betreiberehepaar unserer Außenstelle der Jugendburg und Sportbildungsstätte Sensenstein betreut. Dabei werden sie von ehrenamtlichen Aktiven aus Kaufungen unterstützt. Für diese Unterstützung sind wir sehr dankbar. Auch die Gemeinde Nieste bringt sich auf vorbildliche Weise in das Betreuungsangebot an der „Rotten Breite“ ein (Sportangebote, Integration der Kinder in Schule und Kindergarten). Da es sich um unsere eigene Einrichtung handelt, ist eine spezielle Betreiberkontrolle nicht erforderlich.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr
Uwe Schmidt